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AutorenbildIsabel Bersenkowitsch

Die fatale Ernährungspsychologie hinter Train Your Baby Like a Dog

Am 3.1.21 hatte die provokante Trash-TV Serie „Train Your Baby Like a Dog“ Premiere auf RTL. Der vorgestellte Erziehungsansatz bezieht sich auf die pawlow`sche Lerntheorie der Konditionierung, wo erwünschtes Verhalten bestärkt und damit eher wiederholt wird. Die Missachtung der Würde von Kindern, sowie die umstrittene Konditionierung in der Hundeerziehung wurde in den sozialen Medien vielfach diskutiert und soll kein Teil dieses Artikels sein. Vielmehr geht es darum: dieses plakative Fernsehformat treibt an die Spitze, was in unserer Gesellschaft ein weit verbreiteter Usus ist - Essen als Teil methodischer Kindererziehung.




Dass in der Serie mit Obst belohnt wird, ist gleichermaßen problematisch wie eine Belohnung mit Süßigkeiten. Jedes Lebensmittel, das als Belohnung eingesetzt wird, scheint anderen moralisch überlegen zu sein. Die Moralisierung von Lebensmitteln, der gekoppelte belohnende Charakter und die substanzielle Bedeutung, dass man sich Essen verdienen kann oder muss, ist Fundament einer gestörten Beziehung zum Essen.


1. Moralisierung von Lebensmitteln

Wir leben in einer Zeit, in der Essen permanent moralisiert wird. Es beginnt im Elternhaus, wo Süßes oftmals außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahrt wird und endet bei den Medien, die zunehmend vermitteln, dass uns Essen entweder heilt oder umbringt.

Viele Eltern würden wahrscheinlich bestätigen, dass ihr Kind mit der freien Wahl nur noch Süßes essen würde. Hier greift etwas, das wir das ernährungspsychologische Phänomen der verbotenen Frucht nennen können. Mit der Regulierung von Menge und Verfügbarkeit bekommt Naschen einen besonderen Reiz und Wert. Wir können uns an dieser Stelle fragen, wie lange und wie viel Süßes Kinder wohl essen müssten, bis sie (angeleitet) körperliche Sensationen wie Übel- und Müdigkeit reflektieren könnten und der Gewohnheitseffekt, der immer Verfügbares uninteressant macht, anfängt zu greifen.

Im Erwachsenenalter kann die Moralisierung von Lebensmitteln einen Kontrollverlust triggern, der im Essen großer Mengen endet und von Scham und Schuldgefühlen geprägt ist. Genauer betrachtet ist der Kontrollverlust eine Art der unterbewussten Regel-Rebellion, zum Schutz der eigenen Autonomie.


2. Essen als Belohnung

Essen hat primär das Ziel Hunger zu besänftigen, Genuss und Zufriedenheit zu bringen und dem Körper überlebenswichtige Nährstoffe zu liefern. Wenn Essen als Bestechung oder Belohnung eingesetzt wird, könnte das ein Grundbaustein für emotionales Essen sein. Natürlich ist Essen immer emotional. Wir verbinden Essen mit Orten, Menschen und Traditionen. In den meisten Kulturen werden auch Feierlichkeiten durch eine gesellschaftliche Mahlzeit getragen. Was hier gemeint ist, ist allerdings tiefergehend und destruktiv. Essen als Belohnung wird mit einem positiven Gefühl verknüpft und könnte sich zukünftig als einfacher Weg auftun, wenn negative Gefühle bewältigt werden müssen. Essen bekommt damit eine zusätzliche Funktion, die in mäßiger und extremer Form sehr belastend für die psychische und physische Gesundheit ist.


3. Sich essen verdienen müssen

Essen an Konditionen zu knüpfen ist ein bekanntes Symptom bei Essstörungen. Menschen, die an dieser psychischen Erkrankung leiden, haben oftmals viele Regeln und Rahmenbedingungen entwickelt, die das Essen einer Mahlzeit oder eines Lebensmittels bei Erfüllung rechtfertigen. Wenn wir damit anfangen, Kindern Konditionen vorzugeben, die das Essen egal welches Lebensmittels erlauben, könnte auch diese gut gemeinte Erziehungsform ein Keim für spätere Ernährungsprobleme sein.


Kinder werden als intuitive, selbstregulierende Esser*innen geboren. Wenn Essen in der Erziehung eingesetzt wird, schürt das tiefgehende Verunsicherungen dieser inneren Weisheit. Auch wenn Lebensmittel ernährungsphysiologisch nicht gleichwertig sind, ist es für eine gesunde Beziehung zum Essen unumgänglich, sie als emotional gleichwertig zu betrachten. „Tu was ich tue“ funktioniert meistens besser als „Tu was ich sage“.

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